2. Feiertag - Schlittenfahrt auf dem Kohlhof

Früher gab es auf Bauernhöfen oft noch keine Abwasserrohre. Gerade im ländlichen Raum flossen Abwässer in sogenannten „Scheißgräwelin“ zur nächsten Sickergrube. Im Winter froren sie oft ein und im Sommer dufteten sie nicht gerade fein.

Es muss in den späten 1970igern gewesen sein, als es noch richtig viel Schnee gab. Die Kinder rannten nach der Schule nach Hause, holten ihre Schlitten und ab gings die Steige hinauf und „Hui“ in einem Affenzahn den Feldweg hinunter. Das Hinauflaufen war etwas mühsam, auch weil man den herunter rasenden Schlitten aus dem Weg springen musste. Wir hatten zu dritt nur einen alten Schlitten, was doof war. Einer musste immer warten und das konnte dauern.

Ein besonderes Highlight war es, wenn wir nach Heidelberg auf den Kohlhof gefahren sind. Da war, soweit ich mich erinnere, sogar eine Art Lift auf der Kuh-Wiese.

Es war also einer dieser Schneetage, der 2. Weihnachtsfeiertag, Nachmittag. Alle Verwandten waren besucht worden. Das große „Fest-Fressen“ war auch vorbei und man wollte sich bewegen.

Wir hatten einen neuen Schlitten vom Christkind bekommen und der musste ja eingeweiht werden. Also wurden die Kufen mit einer Speckschwarte ordentlich abgerieben, damit er gut rutscht. Auch der alte Schlitten wurde entsprechend vorbereitet. Wir Mädels standen um die Schlitten herum und schauten wie unser Vater die Kufen ordentlich fettete. „So“, sagte er, „jetzt koans los gehe! Die rudsche jetzt bestimmd wie de Deifl!“

Meine Eltern fuhren einen Kombi. Also wurden 2 Schlitten, wir 3 Mädels und unsere Freundin Elke ins Auto gepackt und auf den Kohlhof chauffiert. Dick eingemummelt mit Mütze, Schal und Handschuhen. Sogar Kissen für die Schlitten hatten wir dabei. Im Auto mischte sich der damals übliche Plastikautogeruch mit Schinkenduft. Oben angekommen musste erst ein Parkplatz gefunden werden, denn es hatten noch viel mehr Leute die Idee auf den Kohlhof zufahren. Dann wurde alles ausgepackt und zur Rodelbahn gewandert. Meine kleine Schwester durfte auf dem Schlitten sitzen und wurde gezogen, wir anderen stapften tapfer durch den Schnee. Endlich auf der Wiese angekommen herrschte da schon viel Betrieb. „Bast ma jo uff dass da niergens wedda rennd.“ Gab uns unsere Mutter noch mit auf den Weg. Klar war, dass ich mit Elke auf dem einen und meine Schwestern auf dem anderen Schlitten saßen. „Ich hogg hinne! Nur wer lenge koan därf hinne hogge! Un du koansch näd lenge, du bisch noch viel zu kloa!“ rief Elke und setzt sich direkt hinten auf den Schlitten. Ich schmollte ein wenig, setzte mich aber dann doch schön brav vorne auf den Schlitten. Wie man einen Schlitten lenkt wusste ich wirklich nicht. War ja auch egal, ich verlies mich einfach auf Elke und streiten wollte ich ja auch nicht. Mein Vater gab uns noch einen kräftigen Schubs und rief uns hinterher: „Bast ma uff des Scheißgräwele uff!“

Scheißgräwele? Dachte ich, was ist denn ein Scheißgräwele? Hui, gings den kleinen Abhang hinunter. Elke juchzte: „Des geht awwer schnell! Grad wie de Deifl.“ Die Kufen waren wirklich gut geschmiert. Viel zu schnell gelangte ein dunkles Band in meine Blickrichtung, das rasant näherkam. Scheißgräwele? Dachte ich. Dann rief ich laut: „Leng! Dunn lenge!“ Es tat sich nichts!

Brems“ rief ich. „Ich was näd wie“ brüllte Elke. „Brems, breeeemmmmmsssss!“ schrie ich panisch. Das schwarze Band lag jetzt fast direkt vor uns. Ich hielt mich krampfhaft am Schlitten fest und schloss ganz fest die Augen. Dann hatte ich kurz das Gefühl ganz leicht und frei zu sein. Scheißgräwele, ging es mir durch den Kopf und brems! „Jedzd hoat misch de Deifl gepackt.“ Es machte platsch und ich ließ den Schlitten los. Elke schrie „OOOHHHHHH!“

Ich hatte wieder Bodenkontakt. Fast Augenblicklich drang Nässe und Eiseskälte durch meine Handschuhe und Knie. Langsam öffnete ich die Augen. Scheißgräwele durch zuckte es mich. „SCHEIßGRÄWELE“ rief ich. Auf allen Vieren, mit vollem Körpereinsatz steckte ich im Graben. Elke hatte sich schon wieder aufgerappelt, sie war nur im tiefen Schnee gelandet, den Schlitten noch immer in der Hand. Langsam erhob ich mich und sah an mir herunter. Dreck, Eis, Wasser und noch mehr hing an mir. Das kalte Wasser lief mir in die Schuhe und es stank gottserbärmlich! Viel zu geschockt um zu weinen, rief ich wütend „Vun Wege isch koan lenge! Gug miesch mol oa!“ Elke lachte. Meine Eltern und Schwestern kamen angelaufen. Ich versuchte aus dem Graben zu klettern, was aber bei dem rutschigen Untergrund nicht so einfach war. „Helft ma mol raus“ rief ich. Meine große Schwester hielt sich die Nase zu. „Puh! Du schdingschd! Geh weg!“ Keiner wollte mich anfassen. Auf allen Vieren kroch ich aus dem „Scheißgräwele“. Ich war ein triefendes Elend. Meine Mutter fing an mich mit Schnee abzureiben. „So koansch jao näd ins Audo!“ war ihr Kommentar. Meine Zähne klapperten. Mein Vater schimpfte „Ich hab doch gsad ihr solld uff des Scheißgräwele uffbasse!“ Und dann mussten wir ja noch zurück zum Auto laufen. Meine Schwestern waren sauer, nur einmal konnten sie den Hügel runterfahren und jetzt war der Spaß auch schon vorbei, wegen mir. Wegen mir? Ich konnte doch gar nichts dafür und kalt war mir auch. Gefühlt starrten mich alle Leute auf dem Weg zum Auto an und sie lachten mich aus. „Hi, hi, Scheißgräwele.“ Ich ließ den Kopf hängen und die eine oder andere Träne rollte mir übers Gesicht.

Warum hoschen näd gebremst? Hedsch doch bloß die Fies vum Schliede runner due misse!“ fragte meine große Schwester vorwurfsvoll.

Die Elke hot gsagt sie koann lenge! Un wenn ma lenge koann muß ma doch a bremse kenne!“ Elke war ganz still geworden. Ich wurde stinkend und nass mit den Schlitten in den Kofferraum verfrachtet. Zum Autoplastik- und Schinkengeruch, mischte sich jetzt auch noch „Scheißgräweleduft“.

Zu Hause gings direkt in die Wanne und ich wurde ordentlich abgeschrubbt. Gefühlt stank ich noch Tage nach Fichtennadelbad, Apfel-Shampoo und „Scheißgräwele.“

Danach war mir klar:

  1. Speck eignet sich hervorragend zum Kufen fetten
  2. Verlasse dich nie auf andere und
  3. Sitze niemals vorne, weil am Ende landest du in der „Schei.....ße“.

Christiane Brenner 25.11.25