Die Corona-Pandemie hat in Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung einen Schub der Digitalisierung ausgelöst. Die erste Reaktion der Schüler auf den Fernunterricht war freudig, versprachen die Schulschließungen doch großzügige Mediennutzung und das Gefühl von Freiheit. Clevere IT-Firmen lieferten kostenlose Angebote und hoffen auf viele Folgeabonnements.
Soll sich mit dem digital gestützten Lernen das Problem des Lehrermangels von alleine lösen?
Die Corona-Pandemie hat aber aufgezeigt, dass das Zwischenmenschliche sich nicht digitalisieren lässt. Nach vielen Wochen des ferngesteuerten Unterrichts ist von Schüler/innen(!) immer lauter zu hören: Wir wollen wieder in die Schule. Der Neuheitseffekt ist verflogen. Die digitale Technologie zeigt ihre Grenzen, denn: Bildung ist in hohem Maße ein Beziehungsgeschehen. Beim Distanzlernen fehlt das menschliche Gegenüber. Der Mensch aber ist und bleibt ein Beziehungswesen und braucht zu seiner Entwicklung und Entfaltung die Einbettung in ein zwischenmenschliches Miteinander. Schüler/innen möchten gesehen werden, sich gemeint fühlen, möchten in der ganzen Klassengemeinschaft diskutieren. Sie brauchen die Begeisterung des Lehrers für sein Fach und die Bejahung und Ermutigung ihrer Person. Das zeichnet guten Unterricht aus und kann durch kein digitales Arbeitsblatt ersetzt werden. Für die schwächeren Schüler ist dies in besonderem Maße wichtig und es erscheint einleuchtend, dass gerade diese durch den ferngesteuerten Unterricht benachteiligt wurden.
Die enorm große und 2017 aktualisierte Studie des Neuseeländers John Hattie zur Lernwirksamkeit von digital gestütztem Lehren und Lernen kommt zum Ergebnis, dass IT-gestütztes Lernen Sinn macht als Ergänzung zum lehrerorientierten Unterricht in der Klassengemeinschaft, aber niemals als dessen Ersatz. IT-Einsatz für reine Trainings- und Übungszwecke zeigt einen positiven Effekt. Braucht ein Thema aber viel geistige Auseinandersetzung, ist analoger Unter-richt deutlich effektiver. Je jünger die Schüler, umso mehr ist aus psychologischer und neurobiologischer Sicht analoger Unterricht notwendig und sinnvoll.
Die Forderungen für Schule und Erwachsenenbildung sind ambivalent: Zum einen geht es darum, die digitale Ausstattung zu verbessern und die Lehrkräfte fachlich sorgfältig zu schulen, damit diese eine reflektierte Haltung einnehmen und vermitteln können. Zudem ist auf hinreichenden Datenschutz für alle Beteiligten zu achten. IT an Schulen darf nicht zur Datensammlung und -auswertung und zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen von Schüler/innen verwendet werden. Deshalb muss der technische Rahmen lauten: vollständige Datenschutzfolgeabschätzung für die von Schulen benutzten Systeme, Trennung Arbeitsrechner von Konsum/Kommunikation und lokale Datenhaltung und -verarbeitung. Zum anderen gilt es, die Bedeutung des Beziehungsgeschehens zwischen Lehrendem und Lernendem wieder mehr in den Vordergrund zu rücken.
„Wir leben in einer Zeit, in der die Zahl der internetabhängigen Jugendlichen stetig steigt. Kinder und Jugendliche klinken sich aus der realen Welt aus, um sich der virtuellen zu widmen. Die Folgen sind: zunehmende Realitätsferne, Vereinsamung, Aufmerksamkeitsstörungen, Hemmung der Sprachentwicklung, Überforderungsgefühle. Deshalb sollte der IT-gestützte Unterricht mit sorgfältigem Augenmaß erfolgen. Der Fokus von Bildung sollte auf dem realen Leben, der realen Begegnung, der direkten Kommunikation und Präsenz liegen“, so Präsidentin Marie-Luise Linckh. 17. September 2020