Der Belzenickel

 

Es ist noch gar nicht lange her, da sprach man hier in unserer Region nicht vom Nikolaus oder Weihnachtsmann. Hier kannte man nur den Belzenickel. Wer ist diese Gestalt? Nun, nett ist er nicht, zu mindest nicht zu den bösen Kindern. Auch trägt er nicht eine Mitra wie der heilige Nikolaus oder einen roten pelzbesetzten Mantel wie der Weihnachtsmann. Ein dunkler wüster Gesell ist er! Wildes Haar, zotteliger Mantel , schwere Stiefel , einen Knüppel oder Rute und einen  großen Sack. Dazu trägt er eine rasselnde Kette und wer ihm nachts begegnet nimmt sofort reiß aus!

Natürlich hat er auch eine gute Seite brave Kinder bekommen Äpfel und auch Nüsse von ihm, unartige die Rute. Ganz Schlimme werden in den Sack gesteckt und einfach mitgenommen!

Ja, so ist der Belzenickel!

Es war der Abend des 6. Dezembers kurz nach dem ersten Weltkrieg. Die Familie saß ausnahmsweise in der guten Stube. Die Mutter hatte sogar den kleinen Ofen an gezündet. Sie hatte ihren Strickstrumpf und der Vater las dabei in der Zeitung. Draußen war es schon dunkel, der erste Schnee hatte die Welt mit einer Zuckerschicht bedeckt. Alles in allem ein ganz harmonischer Abend. Die Kinder Wilhelm und Gottfried saßen am Boden und bauten mit Holzscheiten Türme. Liesel lag schlafend in ihrem Bettchen. Endlich sind die alle mal ruhig, dachte Karl und schrieb weiter an seinen Hausaufgaben. Er war der älteste und ging schon in die 3. Klasse! Gerne wäre er heute mit den anderen Kindern seiner Klasse Schlitten fahren gegangen, aber er musste mal wieder auf die Kleinen aufpassen. Wenn doch nur der Belzenickel die 3 mitnehmen würde, dann wäre alles besser! Ja, der Belzenickel, der würde es schon recht machen.  Schließlich war er nicht daran schuld, dass Wilhelm und Gottfried die ganze Milch verschüttet hatten und auch an der zerbrochenen Eierschüssel war er ganz gewiss nicht schuld. Klar er hätte vielleicht nicht in dem Buch lesen, sein größter Schatz, sondern den Kleinen beim Tragen helfen sollen. Aber jetzt war sein Buch weg! Die Mutter hat es weggeschlossen und mit ihm fürchterlich geschimpft, auch eine Backpfeife hatte er sich eingehandelt.  Dabei hatte er ihnen gesagt, sie sollten nicht alleine an die Milch gehen. Und Schuld haben doch die Kleinen! Wenn nur der Belzenickel... .

Vor der Tür polterte es. Die Mutter blickte auf: “Wer wärd doann des sei?“ Gottfried und Wilhelm rückten näher zusammen. Eine Kette rasselte immer lauter und tiefes Gebrumme war auch zuhören. Es stapfte und rumorte bis es laut klopfte. „Wuune do Kinner? Liewe odder bese? Macht ma uff de Belzenickel isch do!“

Liesel fing an zu weinen. Der Vater ging vorsichtig zu Tür und öffnete sie. Schwerfällig und scheinbar einen schweren Sack hinter sich herziehend kam der dunkle Gesell in das nur spärlich beleuchtete Zimmer. Er schüttelte den Schnee aus seinem zotteligen Fellmantel. Schrecklich sah er aus. Das Gesicht ganz schwarz und die Kette rasselnd vor sich her schwenkend. „Gruhaaaaar“ machte er und wischelte mit seiner Rute Gottfried über den Hintern! Erschreckt riefen die Kinder im Chor: „Mama, de Belzenickel.“

„Mir hewwe nur liewe Kinner do!“ sagte Mutter ganz ruhig. Karl war sich da nun gar nicht mehr so sicher. „Des glab isch awwer nät!“ knurrte das Wesen, mit schnellem Schritt war er bei Wilhelm packte ihn am Genick und steckte ihn in seinen Sack. Wilhelm schrie wie am Spieß. „Hilfe, Hilfe isch wars nät, isch hab nix gmacht. Mama, Mamaaaaaa!

Oh, Gott, was habe ich mir da nur gewünscht, das wollte ich doch nicht, schoss es Karl durch den Kopf. Der kann doch nicht einfach den Wilhelm mitnehmen.

Ohne lange nachzudenken packte Karl die Hand, die den Sack hielt und biss mit aller Kraft hinein. Huch, was für ein Effekt! Sofort lies der Belzenickel den Sack los. Mit Wilhelm  kullerten Äpfel und Nüsse aus dem Sack, schnell  versteckte er  sich Tränen überströmt hinter seiner Mutter.

Der Belzenickel heulte laut auf: „Loss los du Saubu. Ich schlag dich gri und blau! Auuuuuaaaa!“ Karl lies nicht los! Er schmeckte schon Blut. Der Belzenickel hüpfte und schüttelte, schrie, fluchte  und heulte. Karl lies nicht los! Der Belzenickel schlug und kratzte. Die Kette rasselte. Aber Karl lies nicht los. Die Mutter zog an ihm und schüttelte. Der Vater versuchte den Belzenickel weg zu ziehen. Karl gab nicht nach!

Dem Belzenickel würde er es richtig zeigen! Nie mehr würde der wieder Kinder in den Sack stopfen! „Karl, loss en doch los! Der blud jo schun! Kumm her jetzt uff!“ Nur wage hörte er die Stimme der Mutter. Der Belzenickel heulte jetzt nur noch. Endlich lies Karl ihn nun los. Immer noch heulend und fluchend rannte der Belzenickel aus der Tür, die blutende Hand fest an sich gedrückt. Sogar den Sack und die Kette lies er liegen. Karl wollte schon hinterher stürzen, doch die Mutter erwischte ihn gerade noch am Hosenbund. „Do gebliwwe! Du hosch ver heit schun gnung oagschdeld!“ Mit einer geschickten Drehung wand er sich dann doch los und entwischte durch die Hintertür in den Garten! Vielleicht war es doch nicht so gut den Belzenickel zubeißen! Bestimmt würde er vom Vater Dresche bekommen. Wohin konnte er denn nur schnell verschwinden? Der Schuppen fiel ihm ein. Ganz oben hinten, da fand ihn der Belzenickel und vor allem der Vater bestimmt nicht! Als er nun da oben saß, alleine  und frierend hörte er unten im Haus die Eltern streiten. Bestimmt würden sie ihn dem Belzenickel ausliefern und dann würde er nie mehr wieder nach Hause kommen. Besser er blieb in seinem Versteck und wartete erst mal ab.

Die Kleinen hatten sich inzwischen verschreckt unter den Tisch verkrochen! So was hatten sie auch noch nicht erlebt. Die Mutter wetterte: „Isch habs da doch glei gsad des isch nix mit dem Belzenickel!“ Der Vater verzog grimmig das Gesicht. „Hab isch vielleicht gwissd dass der denn glei beißd? Isch muß denn Kerle suche! Der koan was erlewe!“ - „Nix do, du bleibsch ämol do, eigentlich wars doch schee fum Kalle, dass er so denn Wilhelm verteidischt hot! Do konn ma dem Bu doch gar net bees sei!“ Die Mutter dachte sich schon wohin Karl verschwunden war. Zielsicher ging sie zum Schuppen. „Kall, bisch du do hin? Kum her es basierder a nix!“

Oben hörte man ein unterdrücktes schluchzen. Die Mutter kletterte die Leiter hoch und setzte sich neben ihren Jungen. Karl fing nun an zu weinen: „Isch hab doch gedenkt der nimmt de Wilhelm mit. Der koan doch nät oafach denn in de Sack nei du. Ich heed doch besser ufbassee misse un denne trage helfe, un un  .... .“ - „Is jo gud., Kall.“ Die Mutter nahm ihn in den Arm und strich ihm über die Haare. „Kumm mir gehe nei , do howwe ischs doch viel zukalt, un Bedgehzeit ischs a, morje sieht die Weld doann schun wieder goanz oanaschda aus.“

Was für ein Abend!

Am nächsten Morgen, es war Sonntag, trödelte Karl auf dem Weg zur Kirche hinter den anderen her. Der Belzenickel ging ihm nicht aus dem Kopf, wider Erwarten war der Vater gar nicht mehr böse gewesen und Wilhelm hatte ihm sogar einen seiner Äpfel geschenkt.

Über den gestrigen Abend wurde nicht gesprochen.

Im Nachbarshaus öffnete sich die Tür und der Schorsch kam raus. Karl mochte Schorsch und eigentlich mochte Schorsch auch Karl.

„Was hoschen du mit deiner Hoand gmacht?“ fragte Karl den Schorsch. “Du hosch jo än goanz dige Vaboand drum, isch des beim schaffe bassiert?“

Schorsch würdigte ihn keinen Blickes und knurrte nur „Do hot misch geschdern än tollwütiger Hund gebisse!“, lies Karl stehen und überquerte die Straße.

Hm, das war die gleiche Hand, wie die vom Belzenickel... , dachte Karl und ging weiter.

Der Belzenickel besuchte die Familie nie wieder!

 

29.11.07 Ch.B