Nikolaus

Früher kam zu unserem Wanderverein immer der Nikolaus in den Wald. Das war eine schöne Feier mit Liedern und dem echten Nikolaus. Der hatte alles was so ein Nikolaus haben muss. Einen roten Mantel, schwarze Stiefel, einen weißen Bart, natürlich das große Buch, Sack und Rute. Wir Kinder mussten immer ein Lied singen oder ein schönes Gedicht aufsagen, ansonsten gab es kein Geschenk!

Wir die Enkel vom Vorstand mussten natürlich besondere Gedichte lernen. Nicht nur „Advent, Advent ein Lichtlein brennt“.

Am Tag vor Nikolaus. Ich hatte schon mehr oder weniger eifrig ein Gedicht geübt was meine Mutter ausgesucht hatte.

„Koansch dei Gedischd?“ fragte die Mutter

„Hajo“, gab ich zurück, obwohl ich mir noch nicht so richtig sicher war.

„Der Zipfel, der Zapfel der goldene Apfel“

„Sags ä mol rischdisch uff, näd bloß so halwer!“ Kam die Aufforderung.

Ich stellte mich in Position und holte tief Luft:

„Kinder kommt und ratet was im Ofen bratet. Hört wies knallt und zischt, bald wird aufgetischt. Der Zipfel, der Zapfel, der Kipfel, der Kapfel der gold-rote Apfel“

Pause

„Mir dunne doch koa Äpfel in de Backoffe, wer meschd denn sowas? Warum muß isch des lerne?“ Fragte ich.

Die Mutter zuckte mit den Schultern „ Mach weider, moje muschs fo de Belzeniggl kenne, du wesch sunscht gibts nix“.

Also ich nun wieder weiter mit der 2. Strophe.

„Kinder lauft schneller, holt eure Teller, holt die Gabel, sperrt auf den Schnabel für den Zipfel, den Zapfel, den Kipfel, den Kapfel den goldbraunen Apfel.“

„Sowas hab isch noch nie gesse, schmeckt des iwwerhaubt? So än braune heiße Apfl. Der isch doch doann wie verfauld. Un die Schal mag isch a näd!“

„Leng näd ab! Weider gehts mit de 3. Stroph!“

Die konnte ich allerwenigsten... Stockend fing ich an:

„Sie pusten und prusten.....sie jucken, nein sie gucken und schlucken... sie lecken und schlecken...Den Zipfel, den Zapfel, den Kipfel,den Kapfel ,den ...gold... nee knusprigen Apfel. Fädisch!“

„Na, des ibsch bessea noche bissl, dä OAfang geht jo schun goanz gud.“

Schei... Zipfl Zapfl Apfel, dachte ich.

Am nächsten Tag machten wir uns dick vermummt in den tief verschneiten Wald auf. Damals gabs noch Schnee, richtigen Schnee! An der Waldhütte hatten sich schon viele Kinder mit ihren Eltern versammelt. In der großen Runde wurde dann recht laut „Laßt uns froh und munter sein“ gesungen um dem Nikolaus den Weg zuweisen. Und dann kam er schwer beladen durch den Schnee gestapft. Alles da, der rote Mante, der weiße Bart, der Sack mit den Geschenken, das schwarze Buch und eine besonders große Rute!

„Der Zipfel, der Zapfel, der goldene Apfel“ ging mir durch den Kopf.

Die ersten Kinder waren an der Reihe, alle trugen ihr Gedicht oder Lied vor und bekamen ihr Geschenk.

„Kinder kommt und bratet, nee ratet“

Nun war ich an der Reihe.

„Und was hast du heute Schönes für mich gelernt? Kannst du mir was vortragen?“

Mir wurde warm, der Schal war aber auch eng am Hals.

„Ja“ sagte ich. Pause. Nikolaus schaute mich erwartungsvoll an. „Na dann leg mal los.“

Schweißperlen traten mir auf die Stirn, rot lief mir das Gesicht an.

Ich öffnete den Mund:

“Kinder kommt, der Zipfel, Zapfel zappelt, der Kipfel,Kapfel golden rappelt, im Ofen!

Mit der Gabel in den Schnabel, pusten, prusten, schlecken, lecken, jucken und gucken der Zipfel der Zapfel der faule Apfel! Fädisch!“ ratterte ich in Rekord Tempo runter.

Meine Mutter zuckte, mein Vater blickte zu Boden, Oma und Opa lächelten leicht verkniffen.

Der Nikolaus nickte wohlwollend. “Das war aber ein sehr schönes Gedicht, das kannte ich so noch gar nicht! Aber das nächste Mal musst du besser üben und nicht so schnell reden!“

Und er überreichte mir ein Säckchen mit Nüssen, Mandarinen und Schokolade. Puh! Der Nikolaus kannte mein Gedicht wohl auch nicht richtig, was für ein Glück! Vielleicht hörte er auch nicht mehr ganz so gut. Meine Mutter zog nur eine Augenbraue hoch, mehr kam nicht. Es waren ja noch andere Kinder dran.

Das letzte Kind kam nun an die Reihe.

„Und was hast du mir für ein Gedicht mitgebracht?“ fragte der Nikolaus.

Das Mädchen antwortete frech.“Isch koan nix! Gar nix!“

Der Nikolaus runzelte die Stirn.

Oje, dachte ich, jetzt kommt die Rute zum Einsatz und ein Geschenk gibts bestimmt auch nicht. Aber es kam anders!

„Nun nächstes Jahr möchte ich aber auch von dir was hören!“ sagte der Nikolaus und gab ihr auch ein Säckchen!

Sie nickte drehte sich um und grinste mich breit an, und streckte mir die Zunge raus.

Wie konnte das sein! Wochen hatte ich den Zappel Apfel gelernt und die kriegt für NIX auch ein Geschenk! Das erschütterte mein Weltbild aufs äußerste und veränderte meine Lebenseinstellung bis heute! Seit dem ist mir klar, dass man mit NIX im Leben genauso weit kommt wie mit Zipfel, Zapfel, Kipfel, Kapfel und goldenen Äpfeln.

 

P.S. Bratapfel mit Vanilleeis schmeckt aber trotzdem gut.